BIM-Interviewserie Teil 2
Building Information Modeling entwickelt sich rasant. Mittlerweile wird nicht nur im Hochbau damit gearbeitet, sondern auch bei zahlreichen Infrastrukturprojekten. Erste Unternehmen haben sich bereits zur Anwendung von BIM selbstverpflichtet.
Wir haben Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe 011 09 „Technisches Zeichnen und Dokumentation im Bauwesen“ gefragt, welche Pilotprojekte den Weg für BIM in Österreich geebnet haben und welche Learnings es gibt.
Das Gespräch wurde geführt mit:
- Azra Dudakovic, BIM-Expertin und CEO, SIDE GmbH
- Monika Ilg, Geschäftsführerin, ib-data GmbH
- Peter Kompolschek, Geschäftsführer, Architekturbüro Kompolschek | Vorsitzender des Komitees 011 „Hochbau Allgemeines“
- Stefan Pölzl, BIM- und IT-Koordinator, ASFINAG Bau Management GmbH
BIM-Projekte von Tunnel bis Wolkenkratzer
Austrian Standards: Welche Pilotprojekte wurden in Österreich mit BIM umgesetzt? Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Stefan Pölzl: Bei uns haben von 2016 bis 2019 vier Projekte die Pilotphase mit BIM durchlaufen: eine Autobahnmeisterei, ein Brückenbau, die Standardisierung der WC-Anlagen auf den Rastplätzen und das vierte, das größte Pilotprojekt, war bzw. ist der Bau der zweiten Röhre beim Karawankentunnel. Hierbei gab es eine Zusammenarbeit mit dem slowenischen Autobahnbetreiber DARS.
Außerdem haben wir noch zahlreiche andere Projekte, in deren Rahmen wir gewisse Aspekte, wie zum Beispiel die Nachhaltigkeit, konkret die CO2-Bilanzierung, als Anwendungsfall pilotieren. Ein aktuelles Großprojekt, das wir von Beginn an mit BIM umsetzen, ist zum Beispiel der Sicherheitsausbau der S 31 im Burgenland. Dieses ist jetzt gerade in der Einreichphase. Auch die A 26 Etappe 2 der Linz-Umfahrung wird gänzlich mit BIM geplant. Dazu gibt es keine klassischen 2D-Pläne mehr. Seit 2019 werden alle neuen Hochbauten verpflichtend mit BIM umgesetzt.
Peter Kompolschek: Pilotprojekte, die ich aus Erfahrung kenne, sind hauptsächlich Infrastrukturprojekte der ÖBB. Eine Herausforderung ist es, BIM mit dem GIS, also mit dem zweiten Datenmodell für Infrastruktur, zu verbinden. Wie kommen die Daten ins BIM und wie fließen sie wieder zurück ins GIS? Wir wollen zur Bauabrechnung und Dokumentation aus BIM langfristige Datenbanken generieren.
Azra Dudakovic: Wir haben zum Beispiel mit dem Illwerk Vkw in Vorarlberg ein großes BIM-Projekt realisiert. Ein Lehrlingsheim in Montafon, dass mit BIM abgewickelt wird, hatte sogar einen AR-Spatenstich, also einen virtuellen Spatenstich mit Augmented Reality. So konnte man das Gebäude den Kunden schon vor dem Bauen viel näherbringen als mit 2D-Plänen.
Die Visualisierungen als ein Nebenprodukt von BIM sind mittlerweile besser ausgereift als noch vor zwei, drei Jahren. Auch die ÖAMTC-Zentrale in Wien wurde mit BIM geplant. Der Austria Tower in Wien ist ebenfalls ein Pilotprojekt für BIM. Die komplexe Fassade und die Varianten in der Planung konnten mit Werkzeugen der 3D-Planung weitaus besser dargestellt werden als in konventionellen 2D-Plänen. Aber auch weniger komplexe Projekte, wie Wohnbauten, profitieren sehr von einer Abwicklung mit BIM durch die Schaffung integraler Prozesse und die durchgängige Informationsweitergabe sowie die effiziente Informationsverwendung.
Learnings von BIM-Projekten
Austrian Standards: Welche Schlüsse können aus den BIM-Projekten gezogen werden?
Monika Ilg: Damit BIM für den Betrieb verwendbar ist, müssen die tatsächlichen Daten aus der Ausführung in das Modell implementiert werden. Wenn man sich den offenen Schnittstellen bedient, funktioniert das heute reibungslos. Allerdings haben mittlerweile fast alle schon ein bisschen BIM gemacht – überspitzt formuliert. Und wenn man jetzt die Daten aller Beteiligten von Planerinnen und Architekten bis zu den Ausführenden und Betreibern zusammenführen möchte, braucht es eben Standards.
Peter Kompolschek: Natürlich gibt es immer noch ein paar, die nur 2D-Pläne lesen und schreiben können und die mit einem 3D-Modell nichts anfangen können. Bei der Bauabwicklung haben wir nach wie vor ganz klassische Leistungsverzeichnisse. Ein wichtiges Learning ist für mich trotzdem, dass schon jetzt immer mehr – auch kleinere Unternehmen – bereit sind, BIM anzuwenden.
Im Augenblick versuchen wir, Strukturen zu finden, damit Ausführende und Planer:innen die jeweiligen Informationen in die Modelle einbringen und, dass wir zum Schluss ein gültiges As Built Modell mit allen Informationen, die wir für Betrieb, Wartung und Instandhaltung brauchen, erstellen können.
BIM-Koordination als neue Rolle
Austrian Standards: Welche Rolle spielt die BIM-Qualifikation?
Stefan Pölzl: Wir schreiben den BIM-Gesamtkoordinator in den Projekten zu hundert Prozent aus. Die BIM-Gesamtkoordination ist grundsätzlich eine sinnvolle Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.
Azra Dudakovic: Es braucht auf jeden Fall Commitment und Akzeptanz bei allen Projektbeteiligten. Die Koordinationsrolle ist zurzeit definitiv die wichtigste bei einem BIM-Projekt, weil das die Anlaufstelle für alle Beteiligte ist – eine erweiterte Version des Planungskoordination. Das ist eine zusätzliche Rolle, die man eigentlich, wenn alle wissen, wovon man spricht und wie die Prozesse ablaufen, in Zukunft gar nicht mehr brauchen wird.
Ist CEO bei BIM Consulting Unternehmen SIDE GmbH, wo sie Kunden in der strategischen und operativen Implementierung der Bauinformationstechnologien berät und unterstützt. Die Reise in die Digitalisierung der Baubranche begann sie davor bei der STRABAG AG, wo sie fünf Jahre lang bei den BIM-Entwicklungen im Konzern mitwirkte. Vor ihrem Umzug nach Wien koordinierte sie Forschungsprojekte am Institut für Architektur an der Sarajevo Universität und war parallel in der Architekturplanung tätig.
Ist Geschäftsführerin der ib-data GmbH, Hersteller der ABK-Bausoftware. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der Arbeitsgruppe ÖNORM A 2063-1 und 2 und wirkt in weiteren Standardisierungsgremien zu den Themen BIM, Ausschreibung, Kalkulation, Abrechnung und Kostenmanagement mit (ÖNORM B 2061, ÖNORM A 6241-2, ÖNORM B 1801-1).
Diplomingenieur für Architektur an der TU Graz, eigenes Architekturbüro seit 2000, Lehrender an der FH Joanneum für Revitalisierung, Projektmanagement und Lebenszyklus von 2011 bis 2018. Dort Entwicklung eines BIM Curriculums, Diverse Konsulentenaufträge für BIM bezogene Aufgabenstellungen im In- und Ausland. Zahlreiche Wohn- und Gesundheitsbauten, darunter Revitalisierung des ältesten Bauteils des LKH Villach. Seit 2014 European BIM Group – Delegierter Österreichs.
Ist seit Februar 2021 als „Experte BIM und IT-Koordinator“ tätig. Zu seinen Tätigkeiten zählt die Weiterentwicklung der BIM-Agenden, die Betreuung der BIM-Projekte, die Optimierung des Bauprozesses durch Digitalisierungsaspekte und die Schaffung und Bereitstellung von zentralen, vernetzten und durchgängigen Daten in der ASFINAG. Des Weiteren ist er Mitglied in Arbeitskreisen (Austrian Standards, ÖIAV, ÖBV, FSV ...) zu den Themen BIM und Digitalisierung.