BIM-Interviewserie Teil 1
Damit Building Information Modeling (BIM) reibungslos funktioniert, braucht es BIM-Standards. Was Userinnen und User davon haben, haben wir Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe 011 09 „Technisches Zeichnen und Dokumentation im Bauwesen“ gefragt.
Standards für Building Information Modeling (BIM) schaffen die Basis für einheitliche Datenstrukturen und eine gemeinsame Datenumgebung. Es gibt zentrale BIM-Standards auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene:
- ÖNORM A 6241-er-Serie
- ÖNORM A 2063-er-Serie
- ÖNORM EN ISO 23386 als international gültige Grundlage
Wir haben Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe 011 09 „Technisches Zeichnen und Dokumentation im Bauwesen“ gefragt, welchen Nutzen Standards für BIM-Anwenderinnen und -Anwender haben und welche Perspektiven sie eröffnen. Das Gespräch wurde geführt mit:
- Azra Dudakovic, BIM-Expertin und CEO, SIDE GmbH
- Monika Ilg, Geschäftsführerin, ib-data GmbH
- Peter Kompolschek, Geschäftsführer, Architekturbüro Kompolschek | Vorsitzender des Komitees 011 „Hochbau Allgemeines“
- Stefan Pölzl, BIM- und IT-Koordinator, ASFINAG Bau Management GmbH
Welchen Nutzen haben BIM-Standards für Userinnen und User?
Austrian Standards: Welchen Nutzen haben Standards für BIM-Anwenderinnen und -Anwender in der Praxis?
Peter Kompolschek: Beim Papier gibt es Standardgrößen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Konsumentinnen und Konsumenten können darauf vertrauen, dass DIN A4 immer gleich groß ist und, dass das Papier zum Beispiel mit dem Drucker kompatibel ist. Bei BIM ist es ähnlich.
Wenn die Datenstrukturen, beziehungsweise Datenanforderungen standardisiert sind, ist eine Zusammenarbeit einfacher und effizienter. BIM ist objektorientiert und extrem nah an der Realität – wir sprechen von einem digitalen Zwilling. Damit alle Prozessbeteiligten automatisch die richtigen Daten erzeugen können, ist im Hintergrund eine starke, ausgereifte Standardisierung eine wichtige Grundlage. Der Datenaustausch erfordert außerdem eine gemeinsame Datenumgebung, also ein „Common Data Environment“ (CDE). Für den Prozess ist es wichtig, dass die Daten dem gesamten Team – abhängig von Berechtigungen natürlich – zur Verfügung stehen, und zwar gleichzeitig.
Monika Ilg: Die Standards sorgen dafür, dass die Daten qualitätsgesichert sind. Die Leistungsbeschreibung definiert, welche Merkmale immer im BIM-Modell hinterlegt sein müssen, damit man daraus auch ein Leistungsverzeichnis generieren, Preise kalkulieren und natürlich auch abrechnen kann. Dazu wurden Merkmale in Gruppen erstellt und Standards etabliert.
Stefan Pölzl: Für uns bei der ASFINAG ist es wichtig, dass wir produkt- und softwareneutral, ausschreiben. Der Open-BIM-Standard und die Weiterentwicklung davon ist für uns als öffentliche Auftraggeberin von größter Bedeutung.
Azra Dudakovic: Ich erinnere mich an die Zeit ohne BIM. Da musste für jedes Projekt Jede:r ihr/sein eigenes Süppchen kochen. Jetzt haben wir strukturierte Daten und Informationsmanagementprozesse, deren Spielregeln in Standards definiert sind.
Wohin soll die Reise mit BIM-Standards gehen?
Austrian Standards: Es ist also schon einiges in der Vergangenheit passiert. Wo gibt es denn noch Bedarf, die BIM-Standards weiterzuentwickeln?
Azra Dudakovic: Die Prozessabläufe sind bereits ziemlich gut standardisiert und werden laufend weiterentwickelt. Mehr Definitionen brauchen wir noch in der Datenstruktur der offenen Standards, zum Beispiel wie wir verschiedene Elemente oder Attribute kennzeichnen, um sie unter den Beteiligten austauschen zu können. Da ist noch viel Arbeit nötig.
Peter Kompolschek: Die Anforderungen an die Standardisierung kommen aus der Praxis. Infrastrukturbetreiber und Co. Haben höchstes Interesse und großen Druck gemacht, dass es Strukturen für ihre Gewerke gibt. Vor wenigen Jahren war BIM noch ausschließlich für den Hochbau gedacht. Der Druck des Marktes wurde aber so groß, dass inzwischen auch sämtliche Infrastrukturbauwerke abgebildet werden können, ob Brücke, eine Strecke einer Autobahn oder ein Verkehrsknoten.
Die Standards sind auch für digitale Baueinreichungen wichtig, die in der Folge wahrscheinlich möglichst automatisch geprüft werden sollen. Das bedeutet, es wird dafür enorm viel Information bereitgestellt und nutzbar werden müssen.
Wer sind die internationalen Vorreiter bei BIM?
Austrian Standards: Wo steht Building Information Modeling im internationalen Kontext?
Stefan Pölzl: Im Bereich der Infrastruktur ist Building Information Modeling in Deutschland und der Schweiz sehr etabliert, da die Anwendung von BIM gesetzlich verankert ist. International sind in der Infrastruktur sehr häufig ähnliche Problemstellungen, wie beispielsweise bei der Integration der Datenstrukturen in die internen Systeme, vorhanden. Themen, wie Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit werden Schritt für Schritt entwickelt und die ersten Pilotprojekte zur Feststellung von internationalen Grenzwerten etc. sind im Laufen.
Azra Dudakovic: Großbritannien hat bei BIM in Europa auf jeden Fall die größten Fundamente gelegt. Dort hat man aber auch schon immer die Tradition, erst zu planen und dann zu bauen, während sich diese Phasen bei uns etwas überschneiden.
BIM lebt eigentlich davon, dass man das Gebäude zuerst virtuell baut und erst danach real umsetzt. In dieser virtuellen Welt kann ja alles simuliert und Risikofaktoren frühzeitig erkannt werden. Außerdem sind die skandinavischen Länder sehr weit im Thema BIM. In Singapur wird schon seit Jahren mit digitalen Baueinreichungen gearbeitet. Dort sind in irgendeiner Art und Weise fast alle Gebäude digital erfasst.
Peter Kompolschek: In Österreich gibt es im aktuellen Regierungsprogramm die Vorgabe, dass BIM in der öffentlichen Beschaffung vorzuziehen ist. Abseits des Gesetzgebers werden diese Themen autark vorangetrieben. Viele Dimensionen, die für uns so wichtig sind, weil wir immer wieder neue Teams bilden und weil wir immer bis zum Schluss als Planer mit dabei sind, fallen in Ländern, wie Großbritannien, Kanada oder den USA mit ihren Generalunternehmen weg. Ein wesentlicher Punkt ist, dass sich BIM nicht auf 3D- Modelle beschränkt, sondern eine umfassende Datenbank ist.
Monika Ilg: In Großbritannien, im skandinavischen Raum und im US-amerikanischen Raum geht die Vergabe an einen Generalplaner oder -Unternehmer. Das wollen wir für Österreich und für die österreichische Wirtschaft aber ja nicht unbedingt, weil die Gefahr besteht, dass vor allem KMU nur noch als Subunternehmer auftreten.
Deshalb ist Österreich sehr gut aufgestellt mit den Standards, die wir für BIM haben. Insofern denke ich, gibt es nicht sehr viele Vorbilder in Europa, sondern umgekehrt, ist Österreich ein Vorreiter. Dass wir Daten produzieren, die wir vom Auftraggeber bis zur Abrechnung durchlaufen lassen können, ist alles andere als selbstverständlich. Das sind zurzeit noch einzelne Pilotprojekte, die aber das große Potenzial von standardisiertem BIM eindrucksvoll zeigen.
In Teil 2 der Expert:innenrunde erfahren Sie mehr über BIM-Pilotprojekte und welche Schlüsse daraus gezogen werden können.
Ist CEO bei BIM Consulting Unternehmen SIDE GmbH, wo sie Kunden in der strategischen und operativen Implementierung der Bauinformationstechnologien berät und unterstützt. Die Reise in die Digitalisierung der Baubranche begann sie davor bei der STRABAG AG, wo sie fünf Jahre lang bei den BIM-Entwicklungen im Konzern mitwirkte. Vor ihrem Umzug nach Wien koordinierte sie Forschungsprojekte am Institut für Architektur an der Sarajevo Universität und war parallel in der Architekturplanung tätig.
Ist Geschäftsführerin der ib-data GmbH, Hersteller der ABK-Bausoftware. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der Arbeitsgruppe ÖNORM A 2063-1 und 2 und wirkt in weiteren Standardisierungsgremien zu den Themen BIM, Ausschreibung, Kalkulation, Abrechnung und Kostenmanagement mit (ÖNORM B 2061, ÖNORM A 6241-2, ÖNORM B 1801-1).
Diplomingenieur für Architektur an der TU Graz, eigenes Architekturbüro seit 2000, Lehrender an der FH Joanneum für Revitalisierung, Projektmanagement und Lebenszyklus von 2011 bis 2018. Dort Entwicklung eines BIM Curriculums, Diverse Konsulentenaufträge für BIM bezogene Aufgabenstellungen im In- und Ausland. Zahlreiche Wohn- und Gesundheitsbauten, darunter Revitalisierung des ältesten Bauteils des LKH Villach. Seit 2014 European BIM Group – Delegierter Österreichs.
Ist seit Februar 2021 als „Experte BIM und IT-Koordinator“ tätig. Zu seinen Tätigkeiten zählt die Weiterentwicklung der BIM-Agenden, die Betreuung der BIM-Projekte, die Optimierung des Bauprozesses durch Digitalisierungsaspekte und die Schaffung und Bereitstellung von zentralen, vernetzten und durchgängigen Daten in der ASFINAG. Des Weiteren ist er Mitglied in Arbeitskreisen (Austrian Standards, ÖIAV, ÖBV, FSV ...) zu den Themen BIM und Digitalisierung.