Expert Talks 2024
Welche Auswirkungen die EU-Standardisierungsstrategie auf die europäische Wirtschaft hat und wie Standards als geopolitisches Instrument Weichen stellen, haben Expert:innen bei den Expert Talks von Austrian Standards am 12. Juni 2024 besprochen.
Die EU-Standardisierungsstrategie, die vor zwei Jahren beschlossen wurde, hat Standards auf ein strategisches, geopolitisches Level gehoben. Sie sind ein zentrales Element für resiliente Märkte und Lieferketten, sowie die grüne und digitale Transformation.
Moderiert von Gudrun Ghezzo, präsentierte eine renommierte Runde von Expert:innen neue Erkenntnisse, Learnings sowie Erwartungen für die Zukunft rund um die Standardisierungsstrategie der EU.
Die strategische Bedeutung von Standards
Austrian Standards CEO Valerie Höllinger stellte im Rahmen der Begrüßung fest, dass die EU-Standardisierungsstrategie Standards als Innovationstreiber, als Motor für Wirtschaft und Fortschritt und als geopolitisches Instrument erkannt und auf ein neues Level gehoben hat. Peter Reichel, Generalsekretär, OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik, zeigte sich davon überzeugt, dass die Standardisierungsstrategie die nötigen Voraussetzungen schafft, um als Europäische Union, Benchmarks am internationalen Markt zu setzen.
In ihrer Keynote präsentierte Eszter Batta, Policy Officer – Standardisation, European Commission, welche Effekte Standards auf praxisrelevante Themen, wie Lieferkettensicherheit oder Cybersicherheit haben. Auch, warum Standards als geopolitisches Instrument wichtig sind und wie sie dazu beitragen, die europäische technische Führungsrolle genauso, wie europäische Werte zu bewahren, wusste Eszter Batta anschaulich zu erklären. Wichtig seien Initiativen, wie der Living Standards Award, um junge, innovative Köpfe auf das Thema Standardisierung aufmerksam zu machen und die Expert:innen von morgen zu sensibilisieren.
Für Georg Konetzky, Sektionschef, Sektion Nationale Marktstrategien, Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, ist eine starke europäische Standardisierung ebenfalls sehr wichtig. Er gab Einblick in die Arbeit des Europäischen High-Level-Forums. Beispiele, wie die Standards zur Produktion von Wasserstoff oder zur Gewährleistung von Datensicherheit, würden die Brisanz von Standards verdeutlichen. Konetzky schlug vor, ein „Jahr der Standardisierung“ auszurufen, um die Awareness rund um das Thema bei allen Steakholdern weiter zu stärken.
Schwerpunkte in der Standardisierungsarbeit
Franz Ziegelwanger, Sektion VI Telekommunikation, Post und Bergbau, Leitung Technik – Telekom und Post, Bundesministerium für Finanzen, berichtete über die Arbeit in den sogenannten Sherpa-Meetings, in denen Schwerpunkte für die Standardisierung gesetzt werden. So stehen in naher Zukunft die Finanzierung von Standardisierungsaktivitäten und neue Workstreams wie Quantentechnologie und Cybersicherheit im Mittelpunkt. Insgesamt müsse der Einfluss der EU auf internationaler Ebene laufend gestärkt werden.
Sebastian Hallensleben, Head of AI & Digital Trust, VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V., erläuterte live aus Berlin zugeschalten, wie wichtig Standards für KI-Technologien sind. Damit KI ihre Entscheidungen unter Bewahrung von Fairness und Einhaltung der Grundrechte trifft, sei der AI-Act der EU richtungsweisend. Nur mit Hilfe von Vorgaben und Standards können KI-Systeme künftig nach Transparenzklassen oder Fairnessklassen eingeteilt und entsprechend gekennzeichnet werden, zeigte sich Hallensleben überzeugt.
Über den Nutzen von Standards in der Praxis
Fernando Moya Cervelló, ESG Procurements Expert, PORR Group, veranschaulichte, wie viele und welche Faktoren für resiliente Lieferketten eine Rolle spielen. Da viele Risiken außerhalb der Lieferkette liegen, brauche es einen ganzheitlichen Ansatz zur Bewertung. Das hätten Ereignisse, wie die Covid-Pandemie, eindrücklich gezeigt. Standardisierte Berechnungs- und Bewertungsmodelle würden beim Aufbau resilienter Lieferketten helfen und dank Pull-Effekt, positive Einflüsse auf Zulieferer haben.
Matthias Seeleitner, Leiter Strategie & Steuerung Konzerneinkauf, ÖBB-Holding AG, stimmte zu und betonte ebenfalls die Bedeutung von standardisierten Methoden, Prozessen und Strategien für die Umsetzung konzernweiter Aktivitäten und die Arbeit mit Sparringspartnern. Die Einhaltung von Standards würde grundsätzlich Risiken minimieren und so einen Wettbewerbsvorteil schaffen.
Sebastian Uhl, Research Associate, Fraunhofer Austria, stellte fest, dass nur standardisierte Daten aussagekräftig seien. Um verschiedene Szenarien durchspielen und bewerten zu können, zum Beispiel die Resilienz einer Lieferkette, müsse man sich auf alle Daten verlassen können. Auch für die Nachweispflicht von Unternehmen seien Standards unverzichtbar, um aussagekräftige und vergleichbare Berichte zu bekommen.
Mit Standards die Transformation schaffen?
Mit dem Ausbau der grünen Transformation, Kreislaufwirtschaft und Life Cycle Assessment beschäftigte sich das nächste Panel. Anna-Vera Deinhammer, Director for Circular Cities & Regions, Circular Economy Forum Austria / Stiftungsprofessorin für Real Estate Development, FH Wien der WKW, zeigte sich überzeugt, dass alle Ebenen der Gesellschaft mitbetrachtet werden müssen, um die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu schaffen. So müsse man sich nicht nur fragen, was technisch machbar ist, sondern auch, welche Maßnahmen ethisch vertretbar sind. Standards würden genau bei solchen integrativen Prozessen helfen und verschiedene Disziplinen an einen Tisch bringen.
Sibylle Gabler, Mitglied der Geschäftsleitung, Bereich External Relations, Deutsches Institut für Normung DIN, berichtete von den Fortschritten, die man in der Standardisierung für die Kreislaufwirtschaft schon gemacht habe. Nachdem 221 Normungsbedarfe ermittelt worden waren, sei man heute, etwa 1,5 Jahre später, in der Umsetzung und Ausarbeitung von branchenspezifischen Standards. Das Beispiel Circular Economy zeige, dass Standards praxisorientierte Lösungen zur Erreichung politischer Ziele liefern können.
Helmut Leibinger, Leiter Net Zero Emission Team & Leiter Anlagen- und Verfahrenstechnik, ROHRDORFER ZEMENT GmbH, verdeutlichte anhand der festgelegten Ziele der EU, wie wichtig die Transformation zur Kreislaufwirtschaft für Unternehmen ist. So müssen mit dem Ende des Emissionshandels mit Zertifikaten im Jahr 2040, Branchen, die einen gewissen Sockelausstoß an CO2 aufweisen, schon heute an neuen Lösungen arbeiten. Vielversprechend sei beispielsweise die Umwandlung von CO2 in Ameisensäure, die als Zwischenspeicher genutzt werden kann.
Hanna Schreiber, Head of Expert Team; Senior Expert Carbon Management and LCA, Umweltbundesamt GmbH, sprach sich für klare Anforderungen an Produkten in Form von Produktkategorieregeln aus. Sie kritisierte, dass in den Vorgaben der EU verschiedene Bewertungsmethoden möglich sind. Diese seien oft nicht vergleichbar. In der Harmonisierung sei noch viel zu tun, so Schreiber.
Potenziale der Standardisierung in der Forschung uns Ausbildung
Im anschließenden Panel widmeten sich Gerald Kern, Bereichsleitung Europäische und Internationale Programme, Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH (FFG), und Alfred Radauer, Institutsleitung Betriebswirtschaft und Management, IMC Fachhochschule Krems GmbH, dem Themenfeld Aus- und Weiterbildung im Normungswesen. Beide waren der Meinung, dass Standardisierung derzeit noch ein Randthema an den meisten Unis und Fachhochschulen sei. Gerald Kern stellte aber fest, dass in den Ausschreibungen zur Forschungsförderung der EU, Standards bereits bei der Einreichung gefordert werden, da ohne standardisierte Prozesse kein Vertrauen bei Investoren geschaffen werde und die Forschungsergebnisse nur mit Standards den Weg von der Forschung in die Praxis finden können. Alfred Radauer zeigte sich davon überzeugt, dass Standardisierung mehr Aufmerksamkeit und Sensibilisierung an Schulen und Universitäten braucht.
Last but not least gab Elisabeth Christen, Senior Economist, WIFO, einen Ausblick angesichts der aktuellen politischen Lage in der EU und weltweit. Sie ist sicher, dass sich die Herausforderungen der vergangenen Jahre im Wesentlichen nicht ändern werden. Klimawandel, Digitalisierung und grüne Transformation werden Wirtschaft und Gesellschaft fordern, aber auch Innovationen und kluge Lösungen fördern. Standards als regulatorische Instrumente werden weiterhin enorm wichtig sein, um die Herausforderungen zu meistern, zeigte sich Christen überzeugt.