Expert Talks 2023

Mit der EU-Standardisierungsstrategie wurden Standards auf ein strategisches Level gehoben. Sie sind ein zentrales Element eines resilienten, grünen und digitalen EU-Binnenmarkts. Aber ist das EU-Papier nur schöner Schein oder tatsächlich eine große Chance? Moderiert von Gudrun Ghezzo, ging eine renommierte Runde von Expertinnen und Experten dieser und weiteren Fragen rund um die EU-Standardisierungsstrategie nach.

Standards erreichen neues Level

 

Austrian Standards CEO Valerie Höllinger stellte im Rahmen der Begrüßung fest, dass die EU-Standardisierungsstrategie ein klarer Impuls dafür sei, den Nutzen von Standards hervorzuheben. In vielen Bereichen wie z. B. KI, Energie- oder Mobilitätswende werden weltweit die Claims abgesteckt. Globalen Zukunftstrends sind stark vernetzte Themen. Standards helfen Europa, den Wettbewerb aktiv mitzugestalten.

Christian Gabriel, Geschäftsführer, OVE Standardization, ergänzte, dass Standards die allgemeine Sichtweise verkörpern und mit Konsens verbunden seien. Wer an deren Entwicklung nicht teilnehme, überlässt die Entscheidungen anderen. Die Standardisierung ist jedenfalls Chef:innen-Sache, denn sie schafft Rechtssicherheit für Unternehmen. Auf die Wirtschaft hätten Standards starke strategische und taktische Auswirkungen.

Gwenole Cozigou, Direktor GD Binnenmarkt, Industrie, Unternehmerschaft, KMU's, Europäische Kommission stellte fest, dass es für Schlüsse aus den Erfahrungen mit der Standardisierungsstrategie noch zu früh sei. Sicher sei aber, dass es ohne Standardisierung keine funktionierenden Binnenmärkte gibt. Waren Standards früher ein Expert:innen-Thema, wurden sie nun auf ein politisches, strategisches Level gehoben. Dabei stellte er fest, dass die Europäische Kommission operativ weiterhin den renommierten Standardisierungsorganisationen vertraue.

Standards benötigen Education & Skills

Für Georg Konetzky, Sektionschef, Sektion Nationale Marktstrategien, Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, ist es sehr wichtig, die Standardisierung vor den Vorhang zu holen. Die Einführung des Europäischen High-Level-Forums sieht Konetzky positiv. Erste Erfahrungen würden zeigen, dass es die Zusammenarbeit zwischen EU-Kommission, Wirtschaft, Forschung, Zivilgesellschaft und Standardisierungsorganisationen verbessern kann. Beispiele, wie Standards zur Produktion von Wasserstoff oder zur Gewährleistung von Datensicherheit, würden die Brisanz aufzeigen.

Bernhard Spalt, Technischer Referent der Abteilung Normung und Standardisierung, OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik, hob die Bedeutung von Bildung und Ausbildung hervor. Im asiatischen Raum sei man aber viel weiter, denn dort gäbe es ganze Studiengänge für Standardisierung.

EU-Standardisierungsstrategie bringt Boost

Paul Schmidt, Generalsekretär, Österreichische Gesellschaft für Europapolitik, fasste die Bedeutung der Standardisierung für den europäischen Binnenmarkt zusammen: 30 Jahre nach Gründung des Binnenmarktes, hätte er sich inklusive EWR und auch dank Standards zum größten Markt der Welt entwickelt. Die Entwicklung von Standards dürfen wir aber nicht anderen überlassen. Sie müssen von Europäern für Europäer gemacht werden, zeigte sich Schmidt überzeugt. Dafür brauche es politischen Willen.

Der Frage, was die EU-Standardisierungsstrategie konkret für Standardisierungsorganisationen bedeutet, gingen Urs Fischer, CEO, Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV), und Hermann Brand, European Standards Affairs Director, IEEE Standards Association, unter der Moderation von Karl Grün, Director Standards Development, Austrian Standards, nach.

Urs Fischer stellte fest, dass das Zusammenspiel mit der politischen Gesetzgebung lange vernachlässigt wurde. Europa müsse jedoch in Konkurrenz mit USA und China aktiv bleiben und sich einbringen; das Bewusstsein für den Nutzen von Standards schaffen. Fischer zeigte sich überzeugt davon, dass Initiativen, wie die EU-Standardisierungsstrategie, einen Boost verschaffen.

Hermann Brand ergänzte, dass Bildung ein Dauerbrenner in der Standardisierung sei. Expert:innen seien schließlich entscheidende Ressourcen; und das seien nicht nur Ingenieur:innen. Dass die Welt der Standards spannend ist, müsse auch dem Nachwuchs vermittelt werden. Außerdem brauche es Programme, die Forschungsergebnisse schneller in die Normung bringen.

Standards schaffen Sicherheit

Aus Stakeholder-Sicht berichtete Adriane Kaufmann, Referentin, Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik, Wirtschaftskammer Österreich. In der EU-Binnenmarkt-Strategie 2021–2027 sei die Erleichterung der Standardisierung ein Schwerpunkt. Die Standardisierungsstrategie lobte Kaufmann als einen weiteren positiven Schritt für eine stärkere Zusammenarbeit. Auch die große Bedeutung der Standards für die grüne Transformation strich Kaufmann hervor und nannte Beispiele, wie Mehrweg- oder E-Ladesysteme, die sich ohne Standards nicht durchsetzen können.

Bastian Prugger, Rechtsberater, AVL List GmbH, veranschaulichte das Zusammenspiel von Wirtschaft, Technik, Recht und Standardisierung am Beispiel autonomes Fahren. Er kam zu dem Schluss, dass Innovationen sowohl Rechtssicherheit als auch verlässliche technische Detailangaben benötigen, um auf den Markt zu gelangen. Für beides seien Normen eine wichtige Grundlage.

Roland Sommer, Geschäftsführer, Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion, schlug in eine ähnliche Kerbe. Er meinte, dass Standards Orientierung geben und bei Investitionsentscheidungen helfen.

Transformation braucht harmonisierte Standards

Hanna Schreiber, Head of Expert Team; Senior Expert Carbon Management and LCA, Umweltbundesamt GmbH wies darauf hin, dass Taxonomieverordnung, Lieferkettengesetz und Ökodesignverordnung auf eine „multikriterielle Umweltbewertung“ mit standardisierten und harmonisierten Methoden verweisen. Allerdings gäbe es solche Methoden derzeit nicht. Die Anforderungen an die Methoden zur Berechnung der Klimabilanzierung seien gegenwärtig schlichtweg nicht erfüllbar. Das mache deutlich, wie wichtig Standards und deren Harmonisierung sind.

Roman Stiftner, Geschäftsführer der Fachverbände Bergwerke Stahl und NE-Metallindustrie der Wirtschaftskammer Österreich und Generaldirektor von EUMICON, hob hervor, dass Standards mit den Herausforderungen der Gegenwart mithalten müssen. In China verfolge man mit der Standardisierung geopolitische Interessen. In Europa hingegen waren Standards lange eine sehr technische Angelegenheit. Stiftner forderte deshalb eine „holistischere Betrachtung“ in Europa. Die Standardisierungsstrategie sei ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Rita Kremsner, Öffentlichkeitsarbeit/stv. Geschäftsführerin bei ACR – Austrian Cooperative Research, berichtete aus Sicht der angewandten Forschung. Für sie bilden Standards einen Anreiz für Innovation, denn sie ermöglichen die Messung, Prüfung und Zertifizierung von Technologien und Methoden. Man müsse aber für forschende Unternehmen eine Balance zwischen notwendiger Regulierung und Zusatzbelastung finden.

Auch Preeti Ohri Khemani, Senior Director Partnership & Ecosystem Management, Infineon Technologies Austria AG, zeigte sich überzeugt, dass Standards ein wichtiges Werkzeug für Unternehmen sind. Die Halbleiterindustrie wäre laut Expertin ohne Standards nicht möglich. Europa sei ein Vorbild, weil man hier Standardisierungsorganisationen, Forschung und Industrie an einen Tisch bringt.

Ökonomische Bedeutung von Standards

Birgit Meyer, Senior Economist, WIFO – Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, fasste die ökonomische Bedeutung der Standardisierung als Grundlage für den Handel zusammen. Die Harmonisierung von Standards führe zu Marktwachstum. Die EU setze hier Benchmarks. Viele europäische Standards werden von Drittstaaten übernommen, weil sie am Marktgeschehen teilnehmen wollen. So können europäische Standards international positive Impulse setzen, ist Meyer sicher.