5. Jahrestagung Bau

Im Rahmen der 5. Jahrestagung für Baurecht und Baustandards lud Austrian Standards am 29. November 2022 zum Faktencheck. Steigende Energie- und Rohstoffpreise, Lieferengpässe und Fachkräftemangel betreffen die gesamte Baubranche. Die Ansprüche in Sachen Nachhaltigkeit und Digitalisierung waren nie höher.

Moderiert von ImmoFokus-Chefredakteurin Lisa Grüner, fand die 5. Jahrestagung für Baurecht und Baustandards großen Anklang. Mehr als 300 Fachleute aus der Baubranche meldeten sich für die digitale Fachkonferenz von Austrian Standards an. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit der Geschäftsstelle Bau der WKO, der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland und ImmoFokus durchgeführt.

Die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit

Eva Bacher, Senior Consultant, Delta Projektconsult GmbH und Wolfgang Kradischnig, CEO, Delta Holding GmbH, starteten mit einer Einordnung von Nachhaltigkeit und deren Bedeutung für die Baubranche. Dabei wurde deutlich, dass die Branche den drei Dimensionen von Nachhaltigkeit nur mit integraler Planung gerecht werden kann. „Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen von Nachhaltigkeit bedürfen außerdem einer Betrachtung von Bauwerken als Gesamtsystem, nicht als einzelne Bauteile“, führte Bacher aus.

Wolfgang Kradischnig ergänzte: „Wir müssen in Lebenszyklen denken und brauchen endlich Kostenwahrheit über die gesamte Lebensdauer von Gebäuden inklusive Rückbau und Weiterverwertung von Baustoffen und -teilen.“ Um dies zu erreichen, spiele die Digitalisierung, insbesondere BIM, eine wichtige Rolle. Am Beispiel von Leuchtturmprojekten, wie „The Cradle“ in Düsseldorf, veranschaulichte Bacher, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Praxis Hand in Hand gehen können.

Kollaboratives Bauen als Zukunftsmodell

Christian Andreas Maeder, Head of DESIGN & BUILD Management, pde Integrale Planung GmbH, sprach in seinem Impulsvortrag über die Vorteile kollaborativen Planen und Bauens. Modelle, wie LEAN Construction, Choosing by Advantages (CBA) und Target Value Design (TVD), seien zukunftsweisend, da sie Allianzen zuließen und Wert nicht allein monetär beziffern. Allianzen wiederum führen zur Reduktion von Schnittstellen, effizienterem Arbeiten und einer „Sphärenüberwindung“, zeigte sich Maeder überzeugt. „Ja, wir bauen kollaborativ besser“, so Maeder abschließend.

Läuft die Kreislaufwirtschaft schon rund?

Wie das Lebenszyklusdenken in der Bau- und Immobilienbranche stärker verankert werden kann, diskutierte anschließend eine hochkarätige Runde am Podium.

Theresia Vogel, Geschäftsführerin, Klima- und Energiefonds: „Wir müssen das Bewusstsein bei den Betreiberinnen und Eigentümern schärfen. Dafür, dass jede Investition in Nachhaltigkeit ein Investment in die Zukunft ist. Ich bin sicher, dass wir noch viele Innovationen in der Branche sehen werden. Das Thema Gebäudekühlung ist in Österreich beispielsweise ein neues Kompetenzfeld. Die Bau- und Energiebranche werden enger zusammenwachsen. Da sehe ich eine große Dynamik und viele neue Chancen für die Baubranche.“

Dass die Mühlen in der politischen und bürokratischen Praxis langsamer mahlen, als wünschenswert, wusste Robert Stadler, Referent Bauphysik, Österreichisches Institut für Bautechnik (OIB), zu berichten: „Ich gehe zum Beispiel nicht davon aus, dass der Entwurf zur neuen Bauprodukteverordnung auf EU-Ebene wie geplant beschlossen wird. Das Thema Nachhaltigkeit ist aber noch nicht sehr lange so präsent wie heute. Es braucht wohl noch Zeit, bis das Lebenszyklusdenken ins Bewusstsein aller Stakeholder gedrungen ist.“

Helmut Schöberl, Geschäftsführer, Schöberl & Pöll GmbH – Bauphysik und Forschung, sieht ein Hemmnis am Weg zur Kreislaufwirtschaft in den vielen verschiedenen Zertifikatssystemen: „Die Nachhaltigkeitszertifikate für Gebäude müssen auf EU-Ebene harmonisiert werden. Derzeit ist das System sehr verwirrend.“

Dem schloss sich Gerald Beck an, denn: „Zertifikate und die Taxonomiefähigkeit von Gebäuden werden auch für Investoren immer wichtiger. Ich bin sicher, dass künftig die CO2-Neutralität eine Voraussetzung für Baugenehmigungen sein wird. Dafür braucht es harmonisierte Nachweise und Berechnungsmethoden. Nachhaltigkeit muss sich auch rechnen. Wir müssen die Stakeholder mit Anreizen und Vorteilen überzeugen.“

Peter Maydl: „In Sachen Taxonomie ist vieles noch nicht geklärt, die Datenlage ist unzufriedenstellend und die Überprüfung schwierig. Das Level-Konzept wäre ein Lösungsansatz. Grundsätzlich geht die Baubranche in die richtige Richtung, aber die Umsetzung birgt Tücken. Außerdem ist das Thema noch nicht ausreichend in der Ausbildung angekommen.“

Großes Potenzial im Bestand

Eine weitere spannende Diskussionsrunde ging der Frage nach: „Wie bekommen wir den Gebäudebestand klimafit?“.

Astrid Huber-Reichl, Abteilungsleiterin Informations- und Weiterbildungszentrum, Bundesdenkmalamt (BDA), strich hervor, dass historische Gebäude bereits nachhaltig gebaut wurden. Sie bestünden aus regionalen, natürlichen Materialien, wie Holz oder Lehm, und werden mehr als hundert Jahre nach ihrer Errichtung noch genützt. „Natürlich kann und muss man auch solche Gebäude optimieren. Aber viele Methoden und Technologien des historischen Bestands geben beste Vorbilder für nachhaltiges Bauen ab. Wir müssen technisch nachhaltig arbeiten, mit Materialien und Bauteilen, die pflegbar und reparaturfähig sind.“

Peter Bauer, stellvertretender Vorsitzender Sektion Ingenieurkonsulenten der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland gab zu bedenken: „Die Sanierung von Bestandsgebäuden ist ein zentrales Thema. Wenn wir bis 2040 klimaneutral sein wollen, brauchen wir auch neue Gesetze zur Beschleunigung der Sanierungstätigkeiten, zum Beispiel im Mietrecht, damit Mieterinnen und Mieter den Innenraum dämmen können und ähnliches. Außerdem müssen wir in Clustern denken und an generischen Lösungen arbeiten, wenn wir die Energiewende schaffen wollen.“

Ernst Rainer, Staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker, Ernst RAINER – Büro für resiliente Raum- und Stadtentwicklung e.U., zeigte sich überzeugt: „Die großen Herausforderungen sind nur interdisziplinär zu lösen. Wir sind in Österreich sehr innovativ in der angewandten Forschung. Viele Lösungen sind da. Aber wir brauchen einen Quartiersansatz und müssen weg von der Einzelobjektbetrachtung. Was in Österreich seit Jahrzehnten fehlt, ist eine Städtebauförderung, wie es sie in Deutschland gibt.“

Jutta Kraus, Sachverständige, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: „Die Kreislauffähigkeit muss von Anfang an mitgeplant werden. Sowohl im Neubau, aber auch bei Sanierungen. Außerdem müssen die Ziele und Maßnahmen messbar werden. In der neuen Abfallverordnung der EU sind klare Deponierungsverbote festgelegt. So wird das Problem von hinten aufgerollt. Planerinnen und Planer müssen so von Anfang an die Weiterverwertung, bzw. Entsorgung der verbauten Materialien mitdenken.“

Immobilienmarkt bleibt spannend

Herwig Pernsteiner, Vorstandsvorsitzender, Innviertler Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft, sprach anschließend in einem Impulsvortrag über die Baupreisentwicklungen in Österreich. Dabei erklärte er Begriffe und Indizes, wie Baukostenindex, Baupreisindex und Fundamentalpreisindikator. Er ist sicher: „Der Immobilienmarkt bleibt spannend. Die Balance zwischen ökologisch, sozial, ökonomisch und leistbar muss auch in Zukunft stets ausgewogen werden.“

Paul Kubeczko, Geschäftsführung, Verband Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke, gab einen Überblick zum Thema Nachhaltigkeit von Bauprodukten am Beispiel Beton. „Die Rahmenbedingungen sind klar, die Notwendigkeit ist evident und der politische Wille ist gegeben. Den rechtlichen Rahmen regelt die Bauprodukteverordnung von 2011. Der Entwurf einer überarbeiteten Fassung liegt dem europäischen Parlament vor. Auch Normen geben wichtige Orientierung und legen Mindeststandards fest. Jetzt müssen noch das Bewusstsein geschärft und die Aus- und Weiterbildung verbessert werden.“

Neue Spielregeln für Bauprodukte?

Über den Einfluss der neuen Europäischen Bauproduktenverordnung und wie sich die Spielregeln für die Baubranche dadurch ändern werden, ging zum Schluss noch eine Diskussionsrunde nach.

Hildegund Figl, Forschung, Vorstand, Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie GmbH, zweifelte daran, dass der Entwurf der überarbeiteten Bauprodukteverordnung den Nachhaltigkeitszielen gerecht wird. „Die Bemessung wird nicht beschrieben und es ist keine Nachweispflicht geregelt. Die Ziele sind gut, die Umsetzung fraglich.“

Dem stimmte Otto Handle, Geschäftsführung, Inndata Datentechnik GmbH, zu: „Die Ziele unterschreibe ich sofort. Der Weg dahin birgt Verbesserungspotenzial. Der Entwurf ist zu überladen, die Maßnahmen zu aufwendig. Wir brauchen unbedingt mehr Pragmatismus.“

Dieter Lechner, Stv. Geschäftsführer, Fachverband der Holzindustrie Österreichs, ergänzte: „Man hat ein komplexes, unlesbares System geschaffen. Was wir aber brauchen, sind praktikable und klare Vorgaben für die Wirtschaft.“

Roland Zipfel, Referent Bautechnik und -recht, Fachverband der Stein- und keramischen Industrie Österreichs, konkretisierte: „Die geforderten Angaben zur durchschnittlichen Lebensdauer können nicht pauschal gemacht werden, weil sie immer von den Einbaubedingungen abhängt. Beim Verbauen von Recyclingmaterialien wird im Entwurf nicht berücksichtigt, ob solche Materialien regional vorhanden sind. Dass Bauteile zerlegbar sein sollen, ist zwar der richtige Ansatz, allerdings Sache der Planerinnen und Planer. In der Bauprodukteverordnung ist Zerlegbarkeit zumindest teilweise fehl am Platz.“

Franziska Trebut, Bereichsleiterin Energie, Innovatives Bauen und Grünes, Österreichische Gesellschaft für Umwelt und Technik (OEGUT), meinte: „Es müssen Anreize geschaffen und Förderungen vergeben werden. Die Hersteller wissen sehr gut, wie Innovation geht. Ob dafür eine Verordnung nötig ist, ist grundsätzlich fraglich. Die bestehenden Datenbanken sind zum Beispiel sehr hilfreich in der Praxis. Eine Harmonisierung auf europäischer Ebene halte ich aber angesichts der Sprachbarrieren und unterschiedlichen Baukulturen für unmöglich.“

Jede Krise birgt Chancen

Am Ende war man sich insgesamt einig, dass es noch viel Arbeit und weiterhin kluge Ideen und Konzepte brauchen wird, um die Kreislaufwirtschaft ins Rollen zu bringen. Für junge Architektinnen und Planer ebenso wie für clevere Investorinnen und Investoren, stellen die neuen Herausforderungen in der Baubranche jedenfalls nicht nur Hindernisse in den Weg, sondern öffnen auch neue Wege, Perspektiven und Chancen, so der Tenor.

 

Mehr zum Thema

Die 5. Jahrestagung für Baurecht und Baustandards fand am 29. November 2022 im Rahmen des Projekts „Dialogforum Bau Österreich – gemeinsam für klare und einfache Bauregeln“ statt.

Die digitale Fachkonferenz wurde aufgezeichnet – hier geht es zu den Videos:

 

Präsentationen zum Download

 

Mehr zum Dialogforum Bau Österreich

 www.dialogforumbau.at