4. Jahrestagung Bau

Am 24. November 2021 stellte die Baubranche bei der Jahrestagung 2021 für Baurecht und Baustandards den Faktencheck an, unter dem Motto "Deregulierung und Innovationen ermöglichen". Die Fachkonferenz wurde von Austrian Standards digital durchgeführt – in Kooperation mit der Österreichischen Bauzeitung, der Geschäftsstelle Bau der Wirtschaftskammer Österreich und der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland.

Lieferengpässe, steigende Materialpreise und eine allgemeine Unsicherheit sind mit der Pandemie Teil der Baurealität geworden. Die Klimakrise heizt das volatile Umfeld zusätzlich an. Werden Bauregeln den aktuellen Entwicklungen gerecht?

Durch das Programm führte Sonja Meßner, Chefredakteurin der Österreichischen Bauzeitung. Mehr als 230 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich angemeldet.

Dialogforum Bau Österreich: Bauregeln gemeinsam weiter vereinfachen

Das Dialogforum Bau Österreich bietet weiterhin eine wichtige Plattform für die Vereinfachung von Bauregeln. Dort können Erfahrungsberichte eingebracht werden, die in einer Gruppe von Bauexpertinnen und -experten behandelt werden, dem Ausschuss für Bauregeln.

Stefan Wagmeister, Deputy Director Standards Development bei Austrian Standards, startete mit einem Überblick der drängendsten Fragen: "Wie können wir nachhaltige Konzepte entwickeln und umsetzen? Wie können wir Haftungsrisiken reduzieren und Doppelgleisigkeiten im Regelwerk vermeiden? Planungssicherheit, aber auch Innovation sind immer auch eine Frage von einfachen Bauregeln. Dabei liegt der Fokus auf dem Credo ,so wenige Regeln wie möglich, aber so viele wie nötig' zu schaffen."

Karl Glanznig, Geschäftsführer Glanznig Bau GmbH und Vorsitzender des Ausschusses für Bauregeln, ergänzte: "Bauregeln, so auch Normen, müssen in der Praxis leistbar, lesbar und klar formuliert sein. Das war schon in der Vergangenheit so und soll auch so bleiben. Der Nachwuchs muss den Umgang mit Normen lernen und Fachkräfte sollten sich laufend weiterbilden. Bei ihnen liegt auch eine gewisse Holschuld, am aktuellen Stand zu bleiben."

 

Stand der Technik: Klare und detaillierte Verträge gefragt

Während der aktuelle Stand von Bauregeln zweifelsfrei die jeweils gültige Fassung ist, führt die Formulierung "Stand der Technik" nicht nur in Bauverträgen zu Konflikten. Das verdeutlichten die Impulsvorträge über die Beurteilung des Stands der Technik und deren Bedeutung für den Baubereich.

Kurt Peter Judmann, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger und Ziviltechniker: "Der ‚Stand der Technik‘ ist nicht zu verwechseln mit den ‚Regeln der Technik‘. Der Stand der Technik ist weitgehend undefiniert. In Verträgen braucht es deshalb unbedingt immer klare Spezifikationen, welche Ausführungen damit genau gemeint sind."

Dem stimmte auch Thomas Eilenberger-Haid, Richter am Handelsgericht Wien, zu: "Es gibt keine gültige Legaldefinition vom ‚Stand der Technik‘. Normen sind nicht immer rechtlich bindend und können nur begrenzt als Maßstab herangezogen werden. Wird im Vertrag nichts Genaueres vereinbart, können nur Sachverständige im individuellen Fall klären, ob das Werk dem Stand der Technik entspricht oder nicht. Es liegt an den Auftraggebern, den Vertrag von Beginn an entsprechend detailliert zu gestalten."

Erich Kern, Präsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland, strich in seiner Präsentation die Bedeutung der Risikobewertung für Sicherheitsnormen im Bauwesen hervor: "Hundert Prozent Sicherheit gibt es nie. Deshalb wird immer ein Grenzrisiko definiert. In der Baupraxis spiegeln in der Regel die geltenden Normen und Vorschriften den Stand der Technik wider."

 

Nachhaltiges Bauen braucht Innovation und einen neuen Rahmen

 

Dass Innovationen nicht nur nötig sind, sondern auch einen neuen Rahmen benötigen, machte Peter Maydl vom Institut für Materialprüfung und Baustofftechnologie an der Techn. Versuchs- und Forschungsanstalt (TVFA), Technische Universität Graz, deutlich. Er stellte das bei Austrian Standards neu gegründete Komitee 271 "Nachhaltigkeit von Bauwerken" vor.

"Aktuelle Entwicklungen, wie der ,Green Deal' der Europäischen Kommission oder die ‚New European Bauhaus Initiative 2021' erfordern harmonische Bauregeln und Bewertungsmethoden, Regeln für die Produktdeklaration und Grundlagen für die Gebäudezertifizierung. Es ist eine Fülle an Informationen vorhanden, die wir nun an die Endverbraucher kommunizieren müssen. Aber auch in der Aus- und Weiterbildung für nachhaltiges Bauen herrscht großer Handlungsbedarf."

 

Hürden und Hebel für die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen

Brigitte Karigl, Fachliche Leitung Kreislaufwirtschaft der Umweltbundesamt GmbH, führte aus: „Nachhaltiges, kreislauffähiges Bauen beginnt mit der integralen Planung. Allerdings liegt es an den Bauherren, diese in Auftrag zu geben.“ Eine Hürde für nachhaltiges Bauen sieht Karigl in der Verfügbarmachung und Logistik von Recyclingbaustoffen. „Um Gebäude als Materiallager nützen zu können, müssten die Baustoffe tagesaktuell erfasst und verteilt werden.“ Außerdem forcieren die steigenden Grundstückspreise vorzeitige Abbrüche, insbesondere von nicht oder kaum wandelbaren Bestandsgebäuden, zeigte sich Karigl überzeugt. Technologische Hürden und kostenintensive Prozesse seien weitere Hemmschuhe für die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Hebel ortete sie einerseits in technologischen Lösungen, wie zum Beispiel Building Information Modeling (BIM). Aber auch in neuen Geschäftsmodellen, etwa dem Leasing von Bauteilen. Kostenwahrheit, umfassende Potenzialanalysen für die Weiterverwendung von Bauteilen und die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei öffentlichen Ausschreibungen könnten die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zusätzlich in Gang setzen, meinte sie.

Anna-Vera Deinhammer, Projektkoordinatorin für Kreislaufwirtschaft im Bauwesen der Stadt Wien, sagte zuversichtlich: "Die Stadt Wien hat die Entkopplung ihres Verbrauchs von endlichen Ressourcen zum Ziel. Das ist keine unlösbare Aufgabe. Die Prozesse müssen sich ändern und die integrale Planung auf Schultern der Abfallwirtschaft zum Standard werden. Dabei stehen Erhaltung und Sanierung vor Abriss und Neubau." Auch Deinhammer strich die Bedeutung von Digitalisierung und Informationsaustausch – zum Beispiel über verfügbare Recyclingstoffe und -teile – hervor.

In die gleiche Kerbe schlug Thomas M. Kasper, Abteilungsleiter Bereich Abfallmanagement / Abteilung Verfahrensentwicklung der PORR Group und Präsident des Österreichischen Baustoff-Recycling Verbandes (BRV): "Wir brauchen eine intensive Auseinandersetzung mit den Stoffströmen. Außerdem stellen sich einige Rechtsfragen. Recycling befindet sich zwischen Produkt- beziehungsweise Bau- und Abfallrecht. Dabei ist das Abfallrecht Bundesmaterie, während das Baurecht dem Land unterliegt. Wir müssen Recyclingprozesse, -produkte und -materialien aus dem Abfallrecht ins Baurecht transformieren."

 

Bauregeln im Wandel – OIB-Richtlinie 7

Dass Bauregeln zukunftsfit gemacht werden müssen, betonte Robert Stadler vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB): "Die Bauprodukteverordnung 305/2011 legt in Punkt 7 eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen fest. Allerdings fehlen genauere Vorgaben der EU für die Umsetzung in der Praxis." Stadler meinte, angesichts der Notwendigkeit, die bestehenden Bauregeln zu harmonisieren, sei mit der entsprechenden OIB Richtlinie 7 mit detaillierten Ausführungen 2027 zu rechnen.

 

Auch Verhalten muss sich ändern

Einig waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass die Klima- und Energiewende jedenfalls nur einhergehend mit einer deutlichen Reduktion des Verbrauchs gelingen wird – angefangen beim Bodenverbrauch über Rohstoff- bis zu Energieverbrauch.

 

Mehr zum Thema

Die Jahrestagung 2021 für Baurecht und Baustandards wurde aufgezeichnet – hier geht es zu den Videos:

 

Präsentationen zum Download

Mehr zum Dialogforum Bau Österreich

www.dialogforumbau.at