3. Jahrestagung Bau

Ein Jahr voller Entscheidungen und Neuerungen liegt hinter der Baubranche und das ist erst der Anfang. Bei der dritten Jahrestagung für Baurecht und Baustandards am 24. November ging es um die aktuellen Innovationen zu den Themen Klimawandel, Digitalisierung und COVID-19 und wie deren Komplexität das Bauwesen nachhaltig beeinflusst.

Bereits zum dritten Mal fand die Jahrestagung für Baurecht und Baustandards auf Initiative von Austrian Standards und der Geschäftsstelle Bau der Wirtschaftskammer Österreich statt. Doch etwas war dieses Mal anders als in den beiden Vorjahren. Die aktuelle Corona-Pandemie verhinderte eine persönliche Zusammenkunft. Und so „trafen“ einander die zehn Referentinnen und Referenten sowie 150 Personen aus der Bau-Community virtuell zu einer vierstündigen digitalen Fachkonferenz.

Die Tagung stand unter dem Schwerpunkt „Deregulierung und Innovationen ermöglichen“. Äußere Einflüsse erhöhen die Komplexität und den Veränderungsdruck auf die Baubranche zunehmend. Die Herausforderung dabei: Bauregeln so anpassen, dass sie verständlich, zukunftsweisend, kostensenkend, nachhaltig und digital abrufbar sind.

 

Für mehr Einblick: Ausschuss für Bauregeln arbeitet an gemeinsamen Lösungen

Um diese Komplexität zu fassen und gemeinsam Lösungen zu finden, hat Austrian Standards bereits Anfang 2016 gemeinsam mit der Geschäftsstelle Bau der Wirtschaftskammer Wien das Dialogform Bau Österreich gegründet. Ein konkretes Resultat daraus ist u. a. der Ausschuss für Bauregeln, der sich dezidiert mit Problemfeldern und Lösungen auseinandersetzt.

Der Vorsitzende des Ausschusses, Dipl.-Ing. Dr. Rainer Pawlick, gab zu Beginn der Tagung einen Einblick in die Arbeit des Ausschusses und die vorangegangenen Problemfelder. Dazu gehören der Handlungsbedarf bei Rechtssicherheit im Bauwesen, die ÖNORMEN sowie die generelle Wertigkeit und Verbindlichkeit von Normen. Generell seien dies laut Pawlick lange Prozesse, die nicht nach zwei Jahren abgeschlossen sein würden.

 

Reality Check 1: Bauregeln warden vereinfacht

Andreas Kovar, Moderator der Tagung und Geschäftsführer der Kovar & Partners GmbH, eröffnete den ersten Themenblock mit einem Überblick über die fünf Handlungsfelder und damit die bisherigen Ergebnisse des Dialogforums Bau Österreich, die sich aus der Problemanalyse in der ersten Phase ergaben. Kernpunkt dabei, die Normen von Austrian Standards und des OIB abzugleichen und auf eine Ebene zu bringen. Zudem müsse man sich über die Vereinbarkeit von politischen und wirtschaftlichen Bauzielen einigen, so zum Beispiel bei der Sanierung von Gebäuden.

 

Viele Normen, wenig Transparenz

Die Geschäftsstelle Bau der Wirtschaftskammer arbeitete ein umfassendes Positionspapier aus, welches Dipl.-Ing. Robert Rosenberger präsentierte. Als Basis diente die Erkenntnis, dass es europaweit rund 3000 geltende Normen im Baubereich gibt, aber nur 700 davon rein nationale Baunormen sind. Im ersten Schritt wurden Probleme gesammelt, im zweiten nach Lösungsansätzen gesucht. Dazu zählte, Normen im Vorfeld zu definieren und Technikklauseln besser rechtlich zu verankern. Abschließend sollen alle Erkenntnisse in einer Datenbank für Bauunternehmen, Planer und Sachverständige abrufbar sein.

 

Erste Erfolge: Reduktion, Vereinfachung, Verständlichkeit

Abschließend zum ersten Reality Check ging Dipl.-Ing. Stefan Wagmeister, Deputy Director Standards Development bei Austrian Standards, genauer auf Ziele ein. Dazu gehören die Senkung von Baukosten, die Reduktion des Haftungsrisikos, die Verbesserung der Planungssicherheit sowie die Förderung von Innovationen und dem Dialog zwischen relevanten Stakeholdern. Bisher gingen 73 Anträge zur Verbesserung von Baunormen ein, die alle bereits bearbeitet wurden. So wurden beispielsweise im Bereich der ÖNORM B 2204 „Ausführung von Baunormen – Werkvertragsnorm“ sechs Normen zu einer zusammengelegt, um mehr Transparenz zu schaffen. Auch die Verständlichkeit von Normen – wie beispielsweise der ÖNORM B 1300 bei Objektsicherheitsprüfungen für Wohngebäude und die Koordination von Brandschutz – wurden bereits verbessert. Die Ergebnisse sind mehr als zufriedenstellend, trotzdem müsse man das Feuer am Lodern halten, betonte Wagmeister.

 

Reality Check 2: Bauregeln werden digital

Die Bau-Community ist sich einig, das Bauwesen digitaler zu gestalten – schon allein wegen der Corona-Krise. Wie das funktionieren soll, zeigten die Vortragenden im zweiten Teil der Tagung.

 

BIM, BAM und die nötige Brise

Wie wesentlich sich das Bauwesen im Hinblick auf die Digitalisierung ändern muss und wird, erklärte Dipl.-Ing. Bernhard Jarolim (Stadt Wien Magistratsdirektion Bauten und Technik) in seinem Vortrag. Mit BRISE schufen er und sein Team ein Digitalisierungsprojekt, das sowohl der Stadt Wien als auch den Bürgerinnen und Bürgern ein Einreichen und Bearbeiten von Bauplänen vereinfachen soll. Im Kern steht das digitale Bauantragsmodell (BAM). Ziel ist, die Prozessdauer zu verkürzen, Qualität und Quantität in der Abwicklung zu optimieren, die Transparenz zu vergrößern und vorhandene Daten sinnvoll nutzen zu können. Ein weiteres Highlight sind die integrierten 3D-Modelle von Gebäuden. Das Projekt verbindet die High-tech-Methoden BIM (Building Information Modeling), Künstliche Intelligenz (KI) und Augmented Reality (AR). Einen Abschluss des Projektes erwartet Jarolim im Herbst 2022.

 

Chancen und Herausforderungen digitaler Entwicklungen

Je mehr Richtlinien es gibt, desto komplexer werden Zusammenhänge. Das ist die Ausgangsbasis des Vortrags von Markus Neumayer, Geschäftsführer der Firma Neumayer Projektmanagement GmbH. Früher konnten Planungsprozesse viel rascher und einfacher bearbeitet werden, wohingegen sie heute um einiges diffiziler sind. Höhere Auflagen, eine größere Materialvielfalt und mehr Ressourcen machen das Baurecht und die Planung laut Neumayer zum Labyrinth. Chancen sieht er deshalb in einer volldigitalen Baueinreichung. Zusätzlich wünscht er sich eine schnellere und ressourcenschonendere Abwicklung. Als ideal sieht er ein Baurechtswiki, in dem genau steht, was bei welchem Sachverhalt zu beachten sei.

Ein Risiko bleibt allerdings: Nicht jedes Institut verfügt a) über die nötigen Kenntnisse, b) über die finanziellen Ressourcen, sich technisch auf diesem Stand auszurichten, und c) besteht die Angst, dass bei standardisierten Systemen die Kreativität auf der Strecke bleibt. Genau aus diesen Gründen widerspricht Jarolim Neumayer in der anschließenden Diskussionsrunde. Eine Umstellung auf die rein digitale Form könne aufgrund der genannten Risikopunkte (noch) nicht funktionieren. Auch ist das persönliche Gespräch durch keine noch so moderne Technik ersetzbar.

 

Reality Check 3: Bauregeln werden grün

„Jetzt kommen wir zu einem Teil, in dem wir erfahren, auf welche Zukunft wir uns einstellen müssen“, mit diesen Worten leitete Andreas Kovar den dritten Pain Point der Tagung ein – den Klimawandel.

 

Was kommt auf uns zu?

Annemarie Lexer von der Abteilung für Klimaforschung in der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) fühlte sich – wie sie zu Beginn betonte – als „Außenseiterin“ dieser Veranstaltung, da sie vom Bauen an sich so gar keine Ahnung habe. Trotzdem war ihre Teilnahme an der Tagung von hohem Wert. Denn die Ergebnisse ihrer Forschungen treffen die Baubranche massiv. Anhand von Klimamodellen zeigte sie, dass sich die Temperaturen stetig erhöhten, vor allem seit den Neunzigern. Durch den Klimawandel käme es zudem vermehrt zu Wetterextremen wie kurzen, aber sehr hohen Niederschlagsmengen oder langen Dürreperioden. Daraus folgende Katastrophen wären allerdings nicht unweigerlich mit dem Klimawandel selbst, sondern einer falschen Landnutzung verbunden. So machte sie auch die Versiegelung und die falsche Planung von Landnutzung für Überschwemmungen und Erdrutsche verantwortlich. Würde man so weitermachen wie bisher, hätte man in Wien im Worst Case ab 2071 93 Sommertage, eine Verdopplung im Vergleich zur Referenzperiode (1971-2000). Was kann die Baubranche hier tun? Als Lösung sieht Lexer einen Aufbruch von versiegelten Flächen, Aufforstung sowie einen experimentellen Asphalt, der mehr Wasser durchlässt.

 

Vom grünen Bauprodukt zum grünen Bauwerk

Dipl.-Ing. Dr. Rainer Mikulits, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB), sprach in seinem Vortrag über die Änderungen des Baurechts im Bezug auf den Klimawandel. Ein enorm wichtiger Punkt, wenn man bedenkt, dass der Bausektor für 40 Prozent des Energieverbrauchs der EU und 36 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. In der Folge nannte Mikulits den European Green Deal sowie den Circular Economy Action Plan als Basis seines Vortrags. Ersterer bedeutet eine Renovierungswelle sowie einen Aktionsplan für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft mit Fokus auf ressourcenintensive Baustoffe. Zweiterer bezieht sich auf die Bauwirtschaft und Gebäude. Es sei künftig wichtig, einen bestimmten Prozentsatz von Abbruchabfällen wieder zu verwerten. Dafür müssten Materialien sorgfältig getrennt werden. Zudem sollen neue Bauprodukte unbedingt recycelbar sein. Letztlich müsse man beim Bau darauf achten, inwieweit die scheinbar nachhaltigen Materialien ressourcenschonend hergestellt würden. Manchmal sei es besser, weniger energieeffiziente Hüllen zu verwenden, den Bau aber mit nachhaltigen Ressourcen fertigzustellen.

 

Der Wandel in der Baupraxis

Das Bewusstsein für nachhaltige Bauweise ist bei Nutzern, Auftraggebern und in Fachbereichen angekommen. Doch wie setzt man das um? Im öffentlichen Raum in Wien nennt Referent Dipl.-Ing. Paul Track (Prokurist, Abteilungsleitung Bauphysik, RWT plus ZT GmbH) Sprühnebelanlagen und coole Straßen plus, die mit Bäumen bepflanzt und mit hellen Materialien gestaltet werden. Beide Projekte sollen das Stadtklima verbessern sowie Schatten- und Kühlplätze garantieren. Ein behagliches Außenklima entsteht beispielsweise durch begrünte Innenhöfe. Fassadenbegrünung in den Städten und Industriegebieten wirken Hitzeinseln sowie Wärme- und Schadstoffbelastung entgegen. Wichtig sei es, den gesamten Lebenszyklus auf seine Nachhaltigkeit zu prüfen – angefangen bei der Planung bis hin zur Demontage. Bei Gebäuden selbst käme es auf eine integrale Zusammenarbeit von Architektur, Tragwerksplanung, Bauphysik, Brandschutz, Haustechnik und Bauwirtschaft an. Als Paradebeispiel nannte er das Hoho Next in Wien – Greenbuilding ist keine Vision mehr, es ist angekommen.

 

Merkblatt COVID-19

Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Wiesner, Abteilungsleiter Bauwirtschaft der PORR AG, begrüßte die Teilnehmer aus dem Kinderzimmer seiner Tochter, das er mit sehr viel, wie er betonte, „Überzeugungskraft“ für die Dauer des Vortrags beschlagnahmte. Um bei unvorhergesehenen Ereignissen wie der COVID-19-Pandemie vorbereitet zu sein, erstellte er gemeinsam mit einer Expertengruppe aus Auftraggebern und Auftragnehmern den weltweit bisher einzigen Leitfaden für die Pandemie. Mit diesem Leitfaden können weitgehend einheitliche Vorgehensweisen für Leistungsstörungen im Hinblick auf Mehrkosten und Bauzeitenverlängerungen ermittelt werden. Wie ist die Rechtslage? Welche Schutzmaßnahmen sind wann notwendig? Worauf haben Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber Anspruch? Was sind die Folgen für Unternehmen? All diese Fragen werden im Leitfaden beantwortet. Am 5. November wurde ein Update des Leitfadens veröffentlicht.

Das gesamte Dokument können Sie hier https://www.bautechnik.pro herunterladen.

 

Ausblick

Am Ende der Tagung zog Moderator Andreas Kovar ein Resümee. Es sei offensichtlich, dass wir gerade alle nur denkbaren gesellschaftlichen Veränderungen erleben. Dazu gehören die Klimakrise, die bisher viel zu wenig Beachtung fand, die Veränderung der Siedlungsstrukturen, auch aufgrund von vermehrtem Home Office durch die Corona-Pandemie, und auch das Thema Sanierung aufgrund von steigenden Ansprüchen an Gebäude. Österreich sei gut im Verwalten und schwach im Bereich Veränderung. Hier müsse man ansetzen.

Jeder der Vortragenden sowie auch Moderator Andreas Kovar beriefen sich auf die Wichtigkeit eines starken Zusammenhalts, stetigen Fortschritts, reger Teilnahme und dem Willen, nachhaltig etwas zu bewegen.

 

Download der Präsentationen