Standardisierung braucht mehr Ausrichtung auf globale Ziele
Austrian Standards stärkt bei Vollversammlung internationale Ausrichtung als Innovationstreiber
"Alles ist standardisiert und automatisiert. Und dann?" Dieses Zukunftsszenario war Thema der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Vollversammlung von Austrian Standards International, die am 18. Juni 2018 in Wien stattfand.
Kerstin Jorna, Vizedirektorin der EU-Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, sagte, sie glaube nicht, dass uns dann die Arbeit ausgehe, "das Gute sei, dass vermutlich 85 % der 2030 gebrauchten Jobs noch nicht erfunden sind." Standards würden einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in einer flexiblen, agilen Arbeitswelt leisten.
Die Einbindung von Ethikern, Philosophen und Geisteswissenschaftern werde bei der Entwicklung von Standards immer wichtiger, meinte das aus den USA angereiste neue Präsidialratsmitglied Konstantinos Karachalios, Mitglied des Management Council von IEEE. IEEE ist die weltweit größte Techniker-Organisation und veröffentlichte u. a. wesentliche WLAN-Standards.
Karachalios: "Eine Differenzierung zwischen den 'Artes Liberales' und den 'Artes Mechanicae' und damit zwischen Denkern und Handwerkern kann und darf es nicht mehr geben. Wir befinden uns in einer Zeitenwende mit einer veränderten Realität. Es geht um Vertrauen, Transparenz und Ethik. Das dürfen wir nicht mehr ignorieren, weil die neuen Technologien und Systeme darauf beruhen sollen, was die Gesellschaft will und was sie nicht will."
Franz Fischler, Präsident des European Forum Alpbach und des Honorary Board von Austrian Standards, pflichtete bei, dass technische Entwicklung nicht isoliert stattfinden dürfe. "Wir werden in Europa nur dann erfolgreich sein, wenn wir uns interdisziplinär vernetzen und aus den 'Denksilos' herauslösen."
Das trifft zum Beispiel auch den Bau, der bisher eigentlich keine Industrie gewesen sei, weil jedes Bauwerk ein Prototyp war, sagte TU-Wien-Professor Architekt Christoph Achammer. Durch die Digitalisierung, die wesentlich auf Standards aufbaue, werde sich das Baugewerbe endlich zur Industrie entwickeln.
Achammer: "Dazu braucht es Standards, die Prozesse beschreiben. BIM, das Building Information Modeling, ist ein wichtiges Beispiel, welche Rolle Standards künftig spielen. Bei Standards geht es darum, mehr an standardisierte Prozesse als an standardisierte Massenfertigung zu denken. Denn sie ermöglichen, vorhandene Komponenten und Verfahren zu Losgröße 1 zu kombinieren." BIM ist eine Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und anderen Bauwerken mit Hilfe von Software und wurde bereits in österreichischen ÖNORM-Standards beschrieben, die nun auf europäischer Ebene weiterentwickelt werden.
Einig waren sich die Teilnehmer der Diskussion, dass Europas systemischer Zugang zu Normen und Regelwerken im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig sei. Ein Vorteil sei in diesem Zusammenhang, so Kerstin Jorna, dass die europäische Politik gewohnt sei, "nur große Richtlinien vorzugeben und die Entwicklung von konkreten Umsetzungswegen bewusst der Normung zu überlassen, die zugleich den nationalen Gesetzgeber entlastet". Das sei ein flexibles System, weil Anwender, Industrie, Forschung und Wissenschaft, Konsumentenvertreter und Behörden so rasch auf Veränderungen reagieren könnten.
Neue Mitglieder im Präsidium
Die Vollversammlung 2018 brachte Erweiterungen in Präsidium und Präsidialrat von Austrian Standards International. Neu ins Präsidium gewählt wurden der steirische Landesamtsdirektor Mag. Helmut Hirt (als Vertreter der Länder), Sektionschefin Mag. Elisabeth Udolf-Strobl vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (als Vertreterin des Bundes) sowie die Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich, Mag. Anna Maria Hochhauser.
Die Wirtschaftskammer Österreich sei, wie Hochhauser feststellte, ein "verlässlicher Partner im Normenwesen" und fügte hinzu: "In Zeiten, in denen Innovation und Digitalisierung große Priorität haben, braucht es gute und breit akzeptierte Normen. Ich freue mich, dass die dafür notwendige Zusammenarbeit durch meine Wahl in das Präsidium von Austrian Standards International nun auch institutionell gestärkt wird."
Weiters wurde KTM-Vorstandsmitglied Dipl.-Ing. Harald Plöckinger als Vizepräsident wiedergewählt.
16 Neue im Präsidialrat
Der Präsidialrat von Austrian Standards mit nunmehr mehr als 50 Mitgliedern ist das Konsultativorgan zu wirtschaftspolitischen und strategischen Fragestellungen. Er wurde bei der Vollversammlung 2018 u. a. dahingehend erweitert, dass der Bereich Standardisierung und Innovation mit acht neuen Mitgliedern weiter gestärkt wurde.
Insgesamt kamen 16 Mitglieder dazu, wobei sich der Frauenanteil deutlich erhöht hat: Im Bereich Wissenschaft, Forschung und Lehre liegt er nun bei 80 %. Die Mitglieder des Präsidialrats kommen aus den Bereichen Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Forschung und Lehre, Verbraucher, Akkreditierungs-, Prüf- Inspektions- und Zertifizierungswesen sowie aus Normung, Standardisierung und Innovation.
Die neuen Mitglieder sind:
- SektChef Dr. Clemens Martin Auer, Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz
- Dr. Brigitte Bach, AIT - Austrian Institute of Technology, bzw. ab 1. Juli 2018 Wien Energie
- Christian Binder, Hutchison Drei Austria GmbH
- Mag. Eva Czernohorszky, Wirtschaftsagentur Wien
- Dipl.-Ing. Susanne Formanek, GrünStattGrau Forschungs- und Innovations GmbH
- Dipl.-Ing. Christian Gabriel, OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik
- Hon.Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. habil. Michael Heiss, Siemens Corporate Technology
- Mag. Gregor Herzog, GS1 Austria GmbH
- Dipl.-Ing. Dr. Gerhard Hrebicek, European Brand Institute
- Dr. Ing. Konstantinos Karachalios, IEEE Standards Association
- Generalsekretär SektChef Mag. Andreas Reichhardt, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie
- Directeur Jean-Marie Reiff, Institut luxembourgeois de la normalisation, de l'accréditation, de la sécurité et qualité des produits et services
- AR Ing. Helmut Richter, als Vertreter der Vorsitzenden der Komitees bei Austrian Standards
- TU-Wien-Rektorin o.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Sabine Seidler
- Mag. Heidrun Strohmeyer vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung
- Mag. Ernst Tüchler, ÖGB - Österreichischer Gewerkschaftsbund
Zum neuen Ehrenmitglied wurde Hans-Werner Frömmel, Bundesinnungsmeister der Bundesinnung Bau, ernannt. Frömmel habe mit "Umsicht und Voraussicht, vor allem aber durch seine Beherztheit" einen wesentlichen Beitrag für klarere und einfachere Bauregeln geleistet, betonte Austrian-Standards-Präsident Walter Barfuß in seiner Laudatio. Dass aus dem von der Bundesinnung Bau und Austrian Standards initiierten "Dialogforum Bau Österreich - gemeinsam für klare und einfache Bauregeln" ein Best-Practice-Beispiel für Deregulierung geworden ist, sei ganz wesentlich auf das Engagement Frömmels zurückzuführen.