Jahrestagung Bau

05.12.2024
Jahrestagung Bau 2024 bei Austrian Standards  | © Austrian Standards/APA Fotoservice/Fotograf: Rudolph

2024 WANTED: Nachhaltige Lösungen für eine Zukunft im Bausektor

Gestern versammelte Austrian Standards zahlreiche Stakeholder der heimischen Bauindustrie zur Jahrestagung Bau 2024. Wie schon in den Vorjahren war das Interesse an diesem offenen Community-Austausch auf Einladung von Austrian Standards enorm. 270 Gäste aus ganz Österreich waren live oder digital dabei. Eine von mehreren aktuellen Problemstellungen war von den Podiumsgästen dabei rasch und klar identifiziert: „Konjunkturelle Stagnation trifft auf ambitionierte EU-Klimaziele“. Durch dieses Nadelöhr gibt es zwei Pfade: grüne Innovation/Transformation und keine Angst davor, Altes neu zu denken.

Den branchen-selbstkritischen Einstieg schafften die Keynote-Speaker:innen Katharina Kothmiller, Architektin, geschäftsführende Partnerin bei „nonconform“, und Markus Zilker, Architekt und Gründer von einszueins architektur, – beide Mitglieder des Zukunftsnetzwerks Habitat2030 – mit der spannenden Frage: „Wie kann die radikale Transformation der Baubranche zur Klimaneutralität bis 2030 gelingen?“. Damit war der Start in angeregte Diskussionen garantiert. Gemeinsamer Nenner in allen Gesprächen: An mehr Nachhaltigkeit im Sektor führt kein Weg vorbei. Denn die „Hütte brennt“ und im Rennen für eine Zukunft ohne laufend neue Klimakatastrophen, wie man sie 2024 erlebt hat, ist man weit ins Hintertreffen geraten. Besonders kritisch betrachtet man Art und Menge eingesetzter Materialien mit besonderem Fokus auf die grauen Emissionen; also jener Ausstoß, der bei der Herstellung von Materialien entsteht. Hier ist für Katharina Kothmiller und Markus Zilker der mit Abstand größte Hebel für ein nachhaltigeres Bauen und Sanieren zu finden. Dass es anders geht, belegte man mit dem taufrischen Siegerprojekt „Wiener Luft“, einem Bauträgerwettbewerb zum Nordwestbahnhof Wien. Dank innovativer Planung und Materialien wird man auch mit nachwachsenden Baustoffen auf sieben Geschossen Net-Zero erreichen. 

Under Construction

Damit lässt sich die aktuelle Stimmung der gesamten Branche wohl sehr treffend beschreiben. Doch das Ergebnis dieses „Umbauens“ ist noch wenig absehbar. Der einstige „Konjunkturmotor Bau“ steht wie andere Sektoren vor massiven Umbrüchen. „Man ist an einem Punkt, an dem man Dinge nicht nur anpacken, sondern bei Bedarf auch umdrehen oder entsorgen muss. Und jede:r von uns – auch die Normung – muss die nötigen Hausaufgaben machen. Bei allen Schauplätzen wie Zinspolitik, Deregulierung und Co. werden wir aber aus einer Verpflichtung nicht entlassen werden, nämlich der Dekarbonisierung. Die Klimaziele der Europäischen Union sind unverrückbar und das ist gut so, denn die Auswirkungen der Klimakrise rücken spürbar näher an unser aller Leben heran. Das mussten wir 2024 mit verheerenden Hochwasserereignissen im Land deutlich erleben“, betont Gastgeberin Valerie Höllinger, CEO und Managing Director bei Austrian Standards. Aus Sicht von Tim Joris Kaiser, Stv. Leiter Wirtschaft und Soziales, Europäische Kommission in Wien, ist es kein Zufall, dass es nun einen EU-Kommissar für „Energie und Wohnungswesen“ gibt, nämlich Dan Jørgensen aus Dänemark. Als Teil des gemeinsamen Plans für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit ist der notwendige Wandel des Sektors, der sowohl ökonomische als auch ökologische Zielsetzungen verfolgt, auch aus Sicht der EU-Kommission ein Kernanliegen.

Das Tagungsprogramm versuchte Lösungsansätze aus unterschiedlichen Bereichen aufzuzeigen, wie klare Anforderungen an die Energie- und Ressourceneffizienz von Bauwerken, die auch noch in 100 Jahren stehen sollen. Wegweisend hierbei sind kreislauffähige Konstruktionsprojekte mit einem Net-Zero-Commitment. Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft sind hier die tragenden Säulen der Bauzukunft. 

„Im Bereich Materialkonsum ist ein grundlegendes Umdenken notwendig: Es braucht eine Ressourcenwende im Bauwesen! Unsere Devise lautet: weniger verbrauchen, länger nutzen und wiederverwenden – Materialien also werthaltig im Kreislauf führen. Die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel, der sich durch alle Vorgaben, Normen und Prozesse ziehen muss. Wir gehen diesen Weg Schritt für Schritt und arbeiten bereits heute daran, zirkuläre Anforderungen an das Bauen umzusetzen. Die Herausforderung: Wir bewegen uns derzeit noch in einem System, das auf Linearwirtschaft ausgerichtet ist – und genau das macht den Wandel so anspruchsvoll!“, betont Bernadette Luger, Leiterin des Programms „DoTank Circular City Wien 2020-2030“ und der Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen der Stadt Wien.

Work In Progress

Die österreichische Organisation für Standardisierung und Innovation – Austrian Standards –zeigt sich einmal mehr als umsichtiger Wegbereiter, der sich handlungsbezogen mit herausfordernden Themen auseinandersetzt und nach interdisziplinären Lösungsansätzen sucht. Die Jahrestagung schloss mit einer top-besetzten Diskussionsrunde, die sich aktiv mit der Zukunft des Bausektors befasste. 

„Bei der BIG nehmen wir in Summe zwei Milliarden für reine Dekarbonisierungsmaßnahmen in die Hand. Wir investieren dort, wo die echten CO2-Effekte zu erwarten sind, und tragen auch dafür Sorge, dass Maßnahme A nicht unter Maßnahme B leidet. Ein Beispiel aus einer Schule in Wien: Wenn sich nach dem Umbau von Öl und Gas auf Wärmepumpen und PV dann herausstellt, dass die Sanierung der Hülle die erzielten CO2-Effekte am Standort auf Jahrzehnte wieder auffrisst, dann wird die Hülle nicht angetastet. Hier rechnet man bei der BIG kühl und kühn. Wir wissen, dass 2040 als Ziel für viele am Markt unrealistisch ist. Für uns als BIG darf es das nicht sein. Ich bin optimistisch, dass wir als BIG diese Vorgabe schaffen“, meldete sich Gerald Beck, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft BIG und Austrian Real Estate ARE, deutlich zu Wort.

„Die Veränderungen sehen wir überall, auch im eigentlichen Baustellenbetrieb. Modulare Bauweise und Vorfertigung spart enorm viel Material-An- und Abtransport an Baustellen. Auch Werkzeuge und vor allem Baufahrzeuge werden ein Stück kleiner, dafür aber vermehrt vollelektrisch“, sagte Markus Engerth, Unternehmensbereichsleitung & Vorstandsmitglied STRABAG AG.


Panel- und Keynotespeaker:innen

Katharina Kothmiller | Architektin DI & geschäftsführende Partnerin | nonconform und Markus Zilker | Architekt & Gründer | einszueins architektur hielten eine Keynote zum Thema „Planen und Bauen für 100 Jahre“.

Panel #1: Tim Joris Kaiser | Stv. Leiter Wirtschaft und Soziales, Berater für wirtschaftspolitische Koordinierung | Europäische Kommission, Stefan Rufera | Partner, Advisory | KPMG Austria, Peter Maydl | Univ.-Prof.i.R. | Zivilingenieur für Bauwesen und Alexander Passer | Univ.-Prof. | TU Graz | Vorsitzender Komitee 271 „Nachhaltigkeit von Bauwerken“

Panel #2: Hildegund Figl | Forschung & Vorstand | IBO – Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie | Vorsitzende Arbeitsgruppe 02 „Bewertungsmethoden und Bilanzierungsregeln“, Otto Handle | Geschäftsführung | Inndata Datentechnik, Caroline Palfy | CEO | Loud 4 Planet und Bernadette Luger | Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen | Stadt Wien.

Panel #3: Simon Eisenschink I Projektingenieur & Energie-Effizienz-Experte | Jung Eco Building Solution, Wolf-Dietrich Denk | Geschäftsführung | FCP, Markus Dörfler | CEO | AUGMENTERRA GmbH und Harald Mezler-Andelberg | Geschäftsführung | Lindner (Österreich).

Wortführend in der Diskussionsrunde waren Gerald Beck | Geschäftsführer | Bundesimmobiliengesellschaft BIG | Austrian Real Estate ARE, Markus Engerth | Unternehmensbereichsleitung & Vorstandsmitglied | STRABAG AG und Martin Aichholzer I Architekt I MAGK

 

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