Expert-Talks in Wien: EU steigt bei Standards für Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz aufs Gas
Austrian Standards lud gestern gemeinsam mit der EU-Kommission, dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW), der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), der Industriellenvereinigung (IV) und dem Österreichischen Verband für Elektrotechnik (OVE) zur Diskussion über aktuelle Herausforderungen des Europäischen Binnenmarktes. Eigens angereist war Gwenole Cozigou, stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (GD GROW). Seit knapp einem Jahr sorgt die EU-Standardisierungsstrategie für Rückenwind am Weg zu einem resilienten, grünen und innovativen Wirtschaftsraum. Zeit für eine erste Bilanz und einen Ausblick auf die Entwicklung des europäischen Standardisierungssystems der kommenden Jahre. Denn aus Sicht der EU-Kommission ist bezogen auf die drängendsten Themen unserer Zeit klar: Es braucht gemeinschaftliche, europäische Lösungen und diese schneller als noch vor einigen Jahren.
Der Europäische Binnenmarkt feiert heuer seinen 30. Geburtstag und erwirtschaftet mit seinen 23 Millionen Unternehmen rund 18 % des weltweiten BIP (USA: 24 %, China: 18 %). Doch erst im Frühjahr 2022 beschloss man auf Initiative der EU-Kommission eine erste gemeinsame EU-Standardisierungsstrategie; nicht ohne Grund, weiß Gastgeberin und Austrian-Standards-CEO Valerie Höllinger: „Wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters. In vielen noch jungen Bereichen wie z. B. KI, Energie- oder Mobilitätswende werden aktuell weltweit die Claims abgesteckt. Standards spielen dabei eine wesentliche Rolle: Diese globalen Zukunftstrends sind stark vernetzte Themen, die viele verschiedene Branchen betreffen. Damit hier Innovationen kompatibel und marktfähig sind, brauchen sie eine gemeinsame Sprache und klare Schnittstellen. Dafür sorgen Standards. So ist die Europäische Standardisierungsstrategie ein strategisches Tool für Europa, das hohe Relevanz hat und hilft, den Wettbewerb mit Märkten wie China aktiv mitzugestalten.“
Aus Brüssel angereist kam der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) sowie Direktor Ökosysteme III (GROW.H) Gwenole Cozigou. Der Top-Beamte wurde noch konkreter: „Unser Familiensilber hat einen Namen: Europäischer Binnenmarkt. Ich bin überzeugt, dass er ohne Standards nicht funktionieren würde. Ihn zu stärken ist das klare Ziel der noch jungen Europäischen Standardisierungsstrategie. Sie bietet seit rund einem Jahr alle nötigen Strukturen für eng abgestimmte Zusammenarbeit zwischen uns – der Legislative – und den Normungsorganisationen. Damit erreichen wir trend- und bedarfsorientiert, mit hohem Tempo und auf dem Fundament europäischer Werte nicht nur Lösungen, sondern schaffen auch Marktchancen im Umfeld der aktuellen Herausforderungen wie Klimakrise, Artificial Intelligence, etc..“ Damit das strategische Potenzial in Zukunft noch stärker genutzt werden kann, wurde im Rahmen der Standardisierungsstrategie das High Level Forum ins Leben gerufen. In enger Kooperation mit den Mitgliedsstaaten wird hier beobachtet, in welchen Bereichen dringender und wichtiger Bedarf für Standards besteht.
Eine Strategie – Drei Säulen
Die Veröffentlichung der EU-Standardisierungsstrategie erfolgte im Februar 2022. Seither ist neben dem High Level Forum und dem EU-Exzellenzzentrum für Standards auch die Position Chief Standardization Officer, die in Person von Maive Rute die Gesamtkoordination der Standardisierungstätigkeiten aller Kommissonsdienststellen innehat, geschaffen worden.
Sektionschef Georg Konetzky, Sektion Nationale Marktstrategien im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, nimmt für Österreich am High Level Forum teil und weiß: „Wir befinden uns aktuell im Spannungsfeld zwischen einer grünen und einer digitalen Transformation. Als High Level Forum beraten wir hier die Europäische Kommission dabei, jährliche Prioritäten zur Unterstützung eines grünen, digitalen, fairen und resilienten Binnenmarktes durch Standards zu schaffen. Die wichtige Vorarbeit passiert in der Ebene darunter in den sogenannten Sherpa-Guppen, wo Fach- und Normungsexpertinnen und -experten wichtige Trends und Themen für die Normung identifizieren. Die Europäische Standardisierungsstrategie bedeutet, dass Normung für die nächsten Jahrzehnte ein wichtiges Tool sein wird. Dafür benötigt es Bewusstsein und Know-how. Hier werden wir gefragt sein, national die dafür nötigen Bildungsangebote zu schaffen.“
Das High Level Forum wurde im Herbst 2022 für die Dauer von drei Jahren eingerichtet. Es besteht aus hochrangigen Vertreter:innen der öffentlichen Verwaltungen der EU/EWR-Länder, der europäischen Standardisierungsorganisationen (CEN, CENELEC, ETSI), der Industrie, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft.
Die Zukunft der EU-Standardisierungsstrategie
Innovationszyklen werden immer schneller. Daraus abgeleitet ist es wesentlich, auch mit (Wo)Manpower in der Standardisierung am Puls der Zeit zu sein. Großen Bedarf orten Kommission und Stakeholder daher im Recruitment frischer Expert:innen für die Standardisierungsarbeit in den Gremien, aber auch in den Unternehmen des Binnenmarktes selbst. Zu diesem Zweck ist Austrian Standards in Gesprächen mit Bildungsinstitutionen, um das Thema Standardisierung abseits der technischen Studien und Lehrgänge auch bei späteren Unternehmenslenker:innen und Ökonom:innen stärker zu platzieren.
Austrian Standards setzt daher neben der fundierten Weiterbildung der eigenen Expert:innen auch auf die Verankerung von Standards in der Aus- und Weiterbildung. Ein zukunftssicheres Tätigkeitsfeld, wie CEO Höllinger betont: „Wir werden uns dafür einsetzen, Standards in der Bildung und Ausbildung stärker zu verankern, um ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft und Wirtschaft gerecht zu werden. Viele Missverständnisse über Standards – mit denen wir häufig konfrontiert sind – gäbe es nicht, wenn das an sich einfache Prinzip der Standardisierung in den Lehrplänen stärker präsent wäre.“
Die Speaker:innen:
Keynote: Gwenole Cozigou, Stv. Generaldirektor der GD GROW der Europ. Kommission, Direktor Ecosystems III (GROW.H)
Begrüßung:
- Valerie Höllinger, CEO, Austrian Standards (Gastgeberin)
- Christian Gabriel, Geschäftsführer OVE Standardization
Insight-Talks:
- Georg Konetzky, Sektionschef Nationale Marktstrategien, Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft
- Bernhard Spalt, Technischer Referent der Abteilung Normung und Standardisierung, OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik
Impuls-Talk:
- Paul Schmid, Generalsekretär, Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
Paneldiskussion zur konkreten Bedeutung der EU-Standardisierungsstrategie für Standardisierungsorganisationen
- Karl Grün, Director Standards Development, Austrian Standards (Moderator)
- Urs Fischer, CEO, Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV)
- Hermann Brand, European Standards Affairs Director, IEEE Standards Association
Stakeholder-Views zum grünen, digitalen und resilienten EU-Binnenmarkt mit Standards
Fokus 1: Ausbau der Digitalisierung und zukunftsorientierte Technologien für Wirtschaft und Industrie
- Adriane Kaufmann, Referentin, Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik, WKO
- Bastian Prugger, Rechtsberater, AVL List GmbH
- Roland Sommer, Geschäftsführer, Industrie 4.0 Österreich
Fokus 2: Nachhaltige Transformation, Umweltbewertungen und Zusammenspiel mit dem Green Deal
- Hanna Schreiber, Head of Expert Team; Senior Expert Carbon Management and LCA, Umweltbundesamt GmbH
Fokus 3: Kritische Rohstoffe und ihre Bedeutung für die Zukunft Europas
- Roman Stiftner, Geschäftsführer der Fachverbände Bergwerke, Stahl und NE-Metallindustrie der WKO sowie Generaldirektor, EUMICON
Fokus 4: Stärkung der europäischen Forschung und der Ausbildung
- Rita Kremser, Öffentlichkeitsarbeit / stv. Geschäftsführerin, ACR – Austrian Cooperative Research
- Preeti Ohri Khemani, Senior Director Partnership & Ecosystem Management, Infineon Technologies Austria AG
Ausblick: Wie die EU mit ihrer Handelspolitik globale Standards setzt
Birgit Meyer, Senior Economist, WIFO – Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung